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Fazit nach 360-Grad-Event: Klimaneutralität herausfordernd, aber machbar und sinnvoll

Frankfurt am Main, 01.06.2021 – Am 19. Mai veranstaltete das Cluster Hessen Mobility der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH in Kooperation mit dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen und der Hessen Trade & Invest GmbH das virtuelle 360-Grad-Event zum Thema „Green Deal – wie sieht eine effiziente und klimaneutrale Infrastruktur für Wirtschaftsverkehre aus?“. Die teilnehmenden Gesprächspartner waren sich einig, dass Klimaneutralität und Nullemissionsmobilität bis 2050 zwar sehr herausfordernd, aber technisch machbar, ökonomisch lukrativ und ökologisch sinnvoll seien.

Zu Beginn der Veranstaltung diskutierten Hauke Engel (Partner bei McKinsey, Frankfurt am Main) und Thorsten Koska (Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik, Wuppertal-Institut) über das Thema Klimaneutralität und Kosten der Transformation hin zur Nachhaltigkeit diskutiert. Beide Experten waren sich einig, dass die CO2-Bepreisung allein nicht ausreichen wird, um Klimaneutralität zu erreichen. Der Verkehrssektor sei sehr preisunsensitiv, weshalb eine Steuerungswirkung erst entstehe, wenn der CO2-Preis sehr hoch sei. Deshalb bedarf es einer aktiven Industriepolitik mit einem ganzheitlichen Ansatz, um das Ziel zu erreichen. Darüber hinaus sind stärkere Push- und Pull-Maßnahmen notwendig, im letzteren Fall etwa die Neuverteilung des Straßenraums. Die Kosten der Transformation mit sauberer Technologie beziffert Hauke Engel mit 82 Billionen Euro in der EU-27 in den nächsten 30 Jahren. Allerdings seien das keine zusätzlichen Ausgaben, sondern Geld, das zum guten Teil ohnehin für die Modernisierungen ausgegeben werde. Beide Experten waren sich auch darin einig, dass die Wende hin zur Klimaneutralität mach- und finanzierbar ist.

Des Weiteren wurden im Rahmen der Videokonferenz fünf Beispiele aus der Praxis vorgestellt und diskutiert.

  • Wasserstofftankstellen Infraserv/RMV: Mit der Erzeugung und der Bereitstellung von Ladeinfrastruktur für Lkw, Pkw und den vom RMV erworbenen Brennstoffzellenzug Coradia iLint setzt der drittgrößte Verkehrsverbund in Deutschland weltweit einen Maßstab, sagte Infraserv-Geschäftsführer Dr. Joachim Kreysing zu Beginn der Präsentationen. Seit 2006 betreibt Infraserv eine öffentliche Wasserstofftankstelle, im nächsten Jahr soll die Tankstelle für Schienenfahrzeuge in Betrieb genommen werden, die bis zu 27 H2-Züge bedienen und einen Wasserstoffbedarf von 2.000 bis 2.400 kg pro Tag decken kann. Darüber hinaus siedelt Infraserv mit Ineratec ein Unternehmen an, das im nächsten Jahr eine industrielle Power-to-Liquid-Anlage in Betrieb nehmen wird. Die Anlage nutzt CO2 aus einer Biogasaufbereitungsanlage und Wasserstoff, um jährlich bis zu 4,6 Millionen Liter E-Fuels zu produzieren, sagte Kreysing.
  • Energiepark Mainz: Das Überlandwerk Groß Gerau hat 2011 im Auftrag der Muttergesellschaft Mainzer Stadtwerke AG mit der Entwicklung und dem Aufbau des Energieparks Mainz begonnen. Zum Energiepark gehören ein 20kV-Anschluss an einen Windpark mit acht MW elektrischer Leistung und eine Elektrolyse-Anlage für die Herstellung von Wasserstoff mit einer Leistung von sechs MW. Mit einen Lkw-Trailer beliefert die Anlage die gemeinsame, von der Mainzer Stadtwerken und der ESWE in Wiesbaden betriebene H2-Tankstelle in Wiesbaden, die Teil des Projektes „H2-Bus Rhein-Main“ ist. Bis Ende des Jahres sollen elf Brennstoffzellenbusse in Betrieb genommen werden. Bestehende Regularien behindern aber den Einsatz von Power‐to‐Gas, zudem verhindert der schleppende Ausbau von Anlagen für die Gewinnung grünen Stroms die Erzeugung nachhaltigen Wasserstoffs, sagte Jürgen Schmidt, Technischer Geschäftsführer der Überlandwerk Groß Gerau GmbH.
  • Elektra, das weltweit erste emissionsfreie Kanalschubboot: Weltweit ohne Beispiel ist die Entwicklung eines Binnenschiffs an der Technischen Universität (TU) Berlin, das batterie- und brennstoffzellenelektrisch betrieben wird und im lokalen wie regionalen Verkehr eingesetzt wird. Unter Leitung von Prof. Dr. Gerd Holbach entwickelt ein Team ein 20 Meter langes und acht Meter breites Schiff, das bis zu 1.400 t Schublast befördern kann. Im lokalen Betrieb hat das Schiff eine Betriebszeit von acht Stunden bei Geschwindigkeiten zwischen acht und zehn km/h. In diesem Modus nutz das Schiff die Batterie. Im überregionalen Verkehr, etwa zwischen Berlin und Hamburg, ist das Schiff 16 Stunden im Betrieb und nutzt in diesem Modus nach Angaben von Prof. Holbach überwiegend die Brennstoffzelle als Energielieferanten. Das elektrisch angetriebene Schubschiff Elektra wird in einer Schiffswerft in Sachsen-Anhalt gebaut und kann emissionsfrei 1.400 Tonnen schwere Frachtschiffe schieben. Als Energiespeicher nutzt das Schiff Akkumulatoren (wiederaufladbare Batterien) und Brennstoffzellen. Der Wasserstoff für den Betreib liefern Lkw-Trailer oder die Bahn. Das Fazit Prof. Holbachs: Lokal und global emissionsfreier Transport auf dem Wasser in Metropoleregionen und überregional ist machbar, leistungsfähige Binnenschiffe mit H2-Brennstoffzellen und Akkumulatoren als Energiespeicher sind realisierbar. Das Energiesystem der Elektra ist nach Einschätzung von Prof. Holbach eine Blaupause für die Binnen- und Küstenschifffahrt. Aber: „Vorschriften und Gesetze müssen geschaffen werden, die den ökonomischen Einsatz der Technologie ermöglichen.“
  • Migros/Schweiz: Migros ist mit knapp 29 Milliarden Franken Umsatz und mehr als 100.000 Beschäftigten der größte Einzelhändler der Schweiz. Das Unternehmen folgt einem Multi Tech Approach und testet verschiedene Energieträger für den Betrieb der Lkw-Flotte. Dazu zählt der Einsatz von Biogas, die Verwendung von wiederaufladbaren Batterien für die Transporter und der Einsatz von Wasserstoff. Um eine Antwort auf die Frage zu geben, ob zuerst die Tankinfrastruktur aufgebaut oder zuerst H2-Lkw angeschafft werden sollen, hat Migros nach Angaben von Rainer Deutschmann, Direktor der Direktion Logistik & Transport des Migros Genossenschaftsbunds, im Mai 2018 zusammen mit Agrola, Avia, coop, fenaco u.a. die Association pro H2 Mobility Switzerland gegründet. Die Arbeitsweise der Vereinigung nennt Deutschmann Co-Optition, die gleichzeitige Kooperation und Wettbewerb der Mitglieder meint, um die Wasserstoffinfrastruktur für die Schweiz aufzubauen. Acht Wasserstofftankstellen sind seither in der Alpenrepublik eingerichtet worden, eine neunte wird derzeit im Tessin gebaut. Migros hat inzwischen 20 H2-Lkw von Hyundai in Betrieb genommen. Zudem nutzt Migros die LT Opex-Tower Software, um die gesamte Lieferkette des Unternehmens zu kontrollieren und zu steuern. Mit der LT Opex-Tower Software kann Migros die gesamte Lieferkette kontrollieren und steuern und hat tagesaktuell einen Überblick, wie viel CO2-Ausstoß durch den Einsatz emissionsfreier Lieferfahrzeuge vermieden werden konnte. Die Software ermöglicht es auch, tagesaktuell zu erfassen, wie viel klimaschädliches CO2 durch den Einsatz von Biogas und batterie- und brennstoffzellenelektrischen Lkw eingespart wird.
  • Wasserstoffstrategie Hyundai Europa: Der südkoreanische Fahrzeughersteller Hyundai hat bereits Ende 2018 die FCEV Vision 2030 vorgestellt. Damals sagte der Konzernvorstand Eui-Sun Chung: „Als First Mover in der kommenden Wasserstoffwirtschaft werden wir eine Gesellschaft anführen, die Wasserstoff als Hauptenergiequelle nutzt.“ Auf dieser Grundlage hat Hyundai eine Wasserstoffstrategie für Europa aufgelegt und die Schweiz als erstes Land auserkoren, um die Strategie umzusetzen, sagte Mark Freymüller, CEO Hyundai Hydrogen Mobility bei der Präsentation des Projektes. Hyundai Xcient Fuell Cell, der erste weltweit in Serie produzierte schwere Lkw mit Brennstoffzellen-Elektroantrieb. Das Zugfahrzeug hat eine Reichweite von 1.000 km pro Tankfüllung. Im Oktober 2020 hat Hyundai die ersten sieben Xcient Fuell Cell im Verkehrshaus der Schweiz an Unternehmen, u.a. an Migros, übergeben. Inzwischen fahren 46 Fahrzeuge im regulären Betrieb. Nach Angaben von Freymüller haben die Fahrzeuge bislang mehr als 650.000 Kilometer zurückgelegt und den Ausstoß von mehr als 500 t CO2 vermieden. Die maximale Distanz, die die Fahrzeuge an einem Tag zurückgelegt haben, liegt bei 678 Kilometer. „Die Schweiz zeigt, dass es wirtschaftlich funktioniert“, sagte Freymüller. Bis 2025 sollen 1.600 Wasserstoff-Lkw in Betrieb genommen werden. Von 2022 an will Hyundai 2000 Fahrzeuge im Jahr herstellen. Hyundai hat sich aus drei Gründen für die Schweiz entschieden, um die europäische Strategie auszurollen: Das sind Engagement, Preis und steuernde Maßnahmen.

Die Videokonferenz fand im Rahmen der Reihe #logistikmittwoch des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen und der Hessen Trade & Invest GmbH statt. Hier finden Sie die Videomitschnitte der einzelnen Veranstaltungen.

Bei weiteren Fragen oder Anregungen zum Thema wenden Sie sich an den Ansprechpartner für das Cluster Hessen Mobility der HOLM GmbH via E-Mail an juergen.schultheis@frankfurt-holm.de.

 

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