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Hessen Mobility: spannende Diskussion über „Flugverkehr, Flygskam, neue Technologien und Corona“

Frankfurt am Main, 12.10.2020 – Klimaneutrales Fliegen ist mittel- und langfristig ein Ziel, das angesichts aktuell und in naher Zukunft verfügbarer Technologien erreichbar ist. Die Branche setzt auf synthetische Kraftstoffe, die im Power-to-Liquid-Verfahren hergestellt werden können und auf Wasserstoff, der in Brennstoffzellen in Strom umgewandelt werden kann. Die Anforderung, die Branche zu dekarbonisieren, steht dabei außer Frage. Die Herausforderung besteht darin, den ordnungspolitischen Rahmen politisch so zu gestalten, dass im Zuge der Transformation der Aviation-Sektor in Deutschland nicht im internationalen Wettbewerb benachteiligt wird. Das sind die Ergebnisse der Diskussion vom 28. September 2020 in der HOLM-Veranstaltungsreihe „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“.

Es referierten und diskutierten Stefan Gerwens (Leiter Verkehr, ADAC), Hannah Helmke (Gründerin und CEO von right.based on science), Prof. Dr. Claudia Hornberg (Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung), Stefan Schulte (CEO Fraport) und Ralf Teckentrup (CEO Condor).

Der Aviation-Sektor zählt in der Corona-Pandemie zu den am härtesten betroffenen Branchen: Von rund 850.000 Beschäftigten in Deutschland, die direkt und indirekt abhängig sind vom Flugverkehr, waren lediglich noch 170.000 Frauen und Männer voll beschäftigt, „die Übrigen waren in Kurzarbeit“, sagte Condor-CEO Ralf Teckentrup. Die ohnehin miserable Lage werde sich durch Einreisebestimmungen und durch die Ausweisung von Risikogebieten noch weiter verschlechtern.

Fraport-Vorstandschef Dr. Stefan Schulte bezeichnete die Lage als katastrophal. „Das wird sich in den nächsten Monaten auch nicht verändern.“ Licht am Horizont sieht der Frankfurter Flughafen-Chef erst 2021 oder 2022. Schulte: „Ein Normal Null erwarten wir erst in einigen Jahren, dann wird der Markt kleiner sein als 2019, und danach erwarten wir weiteres Wachstum.“

Die Notwendigkeit, den Verkehr im Allgemeinen und den Flugverkehr mittel- und langfristig im Besonderen zu dekarbonisieren, steht für alle TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion außer Frage.

Aktuell rechnet Condor nach Angaben von Vorstandschef Teckentrup mit einem Verbrauch von 2,9 l Kerosin pro Passagier auf 100 km Strecke. Der Durchschnitt deutscher Fluggesellschaften liegt bei 3,58 l pro Passagier auf 100 km. „Wenn ich neue Flugzeuge hätte, läge der Verbrauch sogar bei 2,5 bis 2,6 Liter.“ Das löse aber nicht die Probleme der Luftverkehrsindustrie.

Klimaneutralität im Aviation-Sektor sei nur durch Einsatz synthetischer Kraftstoffe zu erreichen, sagte Teckentrup. Synthetische Kraftstoffe werden im Power-to-Liquid-Verfahren (PtL) über Wasserelektrolyse erzeugt. Dabei wird Kohlenstoff, also Kohlendioxid, der Luft entnommen. Aus Wasser gewinnt man Wasserstoff durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Kohlendioxid und Wasserstoff reagieren dann im weiteren Prozess zu einem Gemisch aus Kohlenwasserstoffen, das wiederum aufgespalten werden kann in Benzin, Diesel oder Kerosin. Nachhaltig und klimaneutral ist der synthetische Kraftstoff dann, wenn der Kohlenstoff aus dem CO2 aus der Luft genommen nicht aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird.

PtL sei eine entwickelte Technik, „wir müssen sie in Großserienreife bringen, damit wir Skaleneffekte erzielen und diese Kraftstoffe günstiger werden“, sagte Teckentrup. PtL-Kerosin sei heute dreimal so teuer wie konventionelles Kerosin.

Eine andere Variante sei die Verwendung von Wasserstoff in einer Brennstoffzelle. Das sei technologisch anspruchsvoller als die PtL-Erzeugung und deshalb eine Zukunftstechnologie.

Die beiden großen Flugzeughersteller Airbus und Boeing und die drei Triebwerkshersteller könnten solche Entwicklungen laut Teckentrup nicht allein bewältigen. „Es braucht einen politischen Willen und internationale Zusammenarbeit.“

Fraport ist nach Angaben von Flughafen-Chef Schulte bereits in einem Konsortium in Brasilien mit der Testherstellung im PtL-Verfahren beteiligt. Wasserstoff könne im Kontinentalbereich eingesetzt werden, „im Interkontinentalbereich wohl nicht nach dem jetzigen Stand der Forschung.“

Schulte betonte wie Teckentrup die internationale Dimension dieser Transformation hin zu klimaneutralen Treibstoffen. „Wir werden nie eine Lösung finden, die in Deutschland, in der EU allein funktioniert. Dafür ist der Markt zu klein für die Hersteller. Wir brauchen eine Weltlösung.“

Beim PtL-Verfahren sieht Schulte die Herausforderung darin, ausreichend sauberen Strom zu bekommen. „Wir müssen deshalb mit Spanien, Marokko und Tunesien zusammenarbeiten. Darin liegt die Schwierigkeit.“

Eine andere Herausforderung sei der Ordnungsrahmen. Wenn synthetische, teurere Kraftstoffe, die über das PtL-Verfahren gewonnen werden, in das Kerosin zunächst beigemischt werden, stehe die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. „PtL allein in Deutschland wird nix bringen, wenn es die Türkei beispielsweise nicht macht. Wir verlieren sonst nur Arbeitsplätze und haben für das Klima nichts erreicht.“

Zurückhaltend bis kritisch reagierten die Podiumsteilnehmer auf die Wirksamkeit und Perspektiven von Kompensationszahlung. Dabei wird, abhängig von der zurückgelegten Flugstrecke, Geld bezahlt, das in Ökoprojekte weltweit investiert wird, mit denen der CO2-Ausstoß vermindert wird.

Hannah Helmke, Gründerin und CEO von right.based on science, bewertet Kompensationszahlungen von Unternehmen aus der Risikoperspektive und sieht das Problem darin, dass irgendwann so viel Geld für Kompensationen ausgegeben worden ist, das besser in eine Innovation investiert worden wäre, durch die das Unternehmen permanent profitiert, weil beispielsweise weniger CO2 emittiert wird. „Kompensationen sind ein gigantisches Risiko.“

„Wenn wir das machen würden, müssten wir dreifach kompensieren. Dann würde das Flugticket im Schnitt sechs bis acht Euro teurer bei einem Durchschnittspreis von heute 110 Euro. Das sind umgerechnet sieben bis acht Prozent Preissteigerung. Damit sind wir aus dem Markt,“ sagte Condor-CEO Teckentrup.

Der Anteil der Passagiere, der bereit sei, sieben bis acht Euro mehr zu zahlen, sei kleiner als ein Prozent. „Wir müssen die Bürger überzeugen, dass sie selbst bereit sind, ihre Zahlungsbereitschaft zu verändern.“ Die Verhaltensweise zu ändern, sei die zentrale Herausforderung.

Aber was passiert, wenn eine wachsende Gruppe von Verbraucher*innen beispielsweise nicht mehr bereit ist, eine „4° C Mobilität“ zu akzeptieren? Diese Frage stellte an diesem Abend Hannah Helmke, die mit right.based on science die ökonomische Emissionsintensität von Unternehmens analysiert und ermittelt, wieviel Emissionen ein Unternehmen braucht, um Wertschöpfung zu generieren. Das Ergebnis wird hochskaliert und der hypothetische Fall konstruiert, was im Blick auf die Klimaziele passieren würde, wenn alle Unternehmen diese Menge an CO2 emittieren würden. Die Ergebnisse hat right.based on science in der Studie „What if“ veröffentlicht (dieser und weitere Links am Ende des Beitrags).

Unternehmen wie Lufthansa oder MTU sind auf Grundlage dieser Analyse auf einem 3,6° C und 5,8° C Pfad. Condor und Fraport hat right.based on science im What if-Report nicht analysiert.

„Es kann sei, dass die Leute in zehn Jahren sagen, ich möchte nicht mehr mit einer 4° C Airline fliegen. Das kann sehr schnell gehen.“  Dann sollten die Unternehmen ins Risikocontrolling gehen, sagte Helmke, um zu schauen, „ob die eigene Strategie dagegen resilient ist.“

Es sei von Vorteil, vor diesem Hintergrund neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um damit auf die Bedürfnisse der Stakeholder und verschärfte Klimaziele zu reagieren: „Das begeistert dann alle Stakeholder, vom Mitarbeiter über den Investor bis hin zum Kunden und Talenten.“

Zuvor hatten Prof. Dr. Claudia Hornberg, Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), und Stefan Gerwens, Leiter Verkehr beim ADAC, Impulse für die Diskussion gegeben. Prof. Dr. Hornberg sagte, dass der CO2-Ausstoß nicht nur aus Gründen des Klimawandels reduziert werden müsse, sondern auch aus Gründen einer verringerten Krankheitslast, also der Belastung durch Erkrankungen als Folge etwa des Stickoxid-Ausstoßes und der Feinstaubemissionen.

„Um Handeln zu können, haben wir genügende epidemiologische und genügend toxikologische Daten. Wir tun gut daran, Mobilitätsszenarien zu verändern, um nicht nur Lärm, sondern auch Feinstäube und Stickoxide zu verringern.“

Der SRU hat deshalb u.a. vorgeschlagen, Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung für Städte mit mehr als 50.000 Einwohner zu erstellen. „Wir brauchen eine Umweltberichterstattung“, sagte Prof. Dr. Hornberg. Zudem müssten Synergien genutzt und die Themen Klimawandel, Lärm und Luft gekoppelt werden.

„Das Straßenverkehrsrecht muss zugunsten des Umweltverbundes reformiert werden, wir müssen Fuß- und Radverkehr ausbauen, den Parkraum besser bewirtschaften und eine streckenabhängige Pkw-Maut einführen.“

Stefan Gerwens sprach sich ebenfalls für eine Dekarbonisierung des Straßenverkehrs bis 2050 aus. Er geht davon aus, dass „wir mittelfristig eine ökonomisch und sozial verträgliche Umsetzung erleben werden“. Im Verkehrssektor sei man bislang noch nicht so erfolgreich gewesen.

Gerwens machte deutlich, dass in der Diskussion im Klimawandel und Dekarbonisierung nicht darum gehen, Mobilität einzuschränken. Diesen Ängsten und Sorgen müsse man begegnen und die Menschen für Veränderungen begeistern. „Wir müssen ihnen etwas Positives vermitteln.“

Der Veranstaltung „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ wird vom Deutschen Mobilitätskongress, dem RMV, dem ADAC und dem VfV unterstützt und findet in Kooperation mit unserem Medienpartner hr-info statt.

Wer am 28. September nicht live dabei sein konnte oder noch einmal in die Veranstaltung reinschauen möchte, kann diese Ausgabe von „Ethik der Mobilität“ vollständig in der Livestream-Aufnahme erleben.

Zum Film [Hinweis: Veranstaltungsbeginn ist bei Minute 41:40]

 

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